Wo die Kunst sich ihre Räume schafft
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Der Kitt und die Kunst
von Holm Friebe für Kaput Magazin
Wenn es etwas gibt, dass die Berliner Kunstszene ausmacht und unterscheidet, dann, dass das Klima unter den zahlreichen und zahllosen Produzenten traditionell weniger kompetitiv ist als in anderen Up-and-Emerging-A-Lagen-Marktumfeldern (Paris, London, New York, Sao Paolo, Shenzhen, you name it!). Vielleicht liegt es an den viel beschworenen Freiheitsmomenten nach dem Mauerfall, die durch die abundante Verfügbarkeit von Raum und Räumen im Osten den manchesterkapitalistischen Druck von den Schultern der Schmalspurproduzenten nahmen.
War die DDR-Ökonomie ein “Materialismus ohne Material”, dann war die Berliner Kulturszene der 1990er ein Postmaterialismus ohne materialistischen Druck. Allerdings auch ohne materialistischen Sog, denn dem niedrigen Produktionskostenniveau stand auch die völlige Abwesenheit solventer Käufer oder gar Sammler (von ein paar gönnerhaft-großkotzig auftretenden Witzfiguren einmal abgesehen).
Der Schriftsteller und Kulturethnologe Ingo Niermann hat diese korrumpierte “Fitness landscape” in seinem Buch “Minusvisionen” auf die schöne Formel gebracht: “Wir waren selbst unsere besten Kunden. Das konnte natürlich nicht funktionieren.” Wurde aber dennoch so praktiziert – und hat in der Rückschau dafür, dass es nicht funktionieren konnte, sehr gut funktioniert: als Kulturkapitalismus ohne ökonomisches Kapital, dafür aber – im Bourdieu’schen Sinne – mit umso mehr sozialem Kapital.
Die berlintypische “Cheap Art”-Szene, die im Ein-Kilometer-Radius im Mitte-Planquadrat Scheunenviertel zwischen Renate-Comicbibliothek, Schokoladen, Haus Schwarzenberg, WMF und Eimer herum entstand, war in Wahrheit eine Clubkunst-Szene, in der jegliches Kunstschaffen durch Bierverkäufe subventioniert wurde. In der Galerie Berlin-Tokyo wurden gar Chipstüten eines erfundenen japanischen Künstlers an die Wand getackert, um die gastronomische Schanklizenz zu umgehen. Die in diesem Umfeld entstehende Flachware von ProduzentInnen wie Evelyn Höhne, Jim Avignon, Fehmi Baumbach, Betty Stürmer oder eben DAG diente zumeist weniger dem interesselosen Wohlgefallen (die fast parodistischen “Richter to go”-Werke von 4000 einmal ausgenommen), schon gar nicht – wie bei den Zehlendorfer Snobs – der Mehrung von Renomée und Distinktion, sondern unmittelbar praktischen Zwecken. Sie dienten als Backdrop fürs Konzert oder DJ-Set, als Plattencover der Hausbands, Teil einer Sozialen Skulptur oder eines Mitte-Gesamtkunstwerkes, das Wagner und Beuys mit Sicherheit gleichermaßen verhasst gewesen wäre.
Worauf ich hinaus will, lässt sich auf ein einsilbiges Wort bringen: KITT. Gemeint ist nicht der gleichnamige intelligente schwarze Sportwagen, mit dem David Hasselhoff in der Serie “Knight Rider” Ganoven jagt, sondern laut Wikipedia: “Kitt (deutsch, Substantiv, m): [1] plastische Masse zum Kleben und Abdichten [2] übertragen: etwas, das zwei oder mehrere Personen/Gruppen/Objekte zusammenhält, verbindet.” Besser als mit Kitt (englisch: Glue) kann man die durch und durch solidarische Ursuppe, in der es noch keine Sterne (engl.: Stars) gab, nur heterotopische Massierungen heißen Plasmas, nicht beschreiben. Der Rest ist jüngere Kultur- und Stadtgeschichte: Die Hitze wich mit steigenden Mieten, grassierender Gentrifizierung, marktmäßiger Überformung des kulturellen Feldes und merkantiler Professionalisierung der Akteure.
Den Plot hatte der ewig ragende Sänger und Seher Leonard Cohen schon 1986 messerscharf skizziert in dem wie Arsch auf Eimer passenden Song “First we take Manhattan, then we take Berlin”: “They sentenced me to twenty years of boredom / For trying to change the system from within.”
Wie das große Universum, so hat auch dieser Urknall hell strahlende Sterne und Galaxien hervorgebracht, die in ihrem Lauf durch die Institutionen inzwischen “ganz oben angekommen” sind: im Literaturolymp, im Comedyfernsehen und in namhaften Galerien. Aber wo ist bei einer Ellipse oben?
Wie das große Universum, so wird auch das Feld der Berliner Kultur maßgeblich mitbestimmt durch die geschätzten 27 Prozent anziehender Dunkler Materie, die den Laden im Hintergrund zusammenhält. Blick man nicht durchs Hubble-Teleskop, sondern geht mit der Lupe auf die Suche, findet man in dieser kosmischen Hintergrundstrahlung sogar noch jene Strukturen und Akteure wieder, die schon vor dem Urknall da waren und sich gemäß dem Motto – nicht: “Überholen ohne einzuholen!”, sondern: – “Stehenbleiben, bis die Parade wieder vorbeikommt” treu geblieben sind.
In London gab es ein ähnliches Anti-Movement-Movement, das sich selbstbewusst “Stuckists” (deutsch etwa: “die Steckengebliebenen”) nennt. Da wäre auf dem Feld der Musik Ran Huber, der mit seiner “Am Start”-Reihe unbeirrt und unbeirrbar, angekränkelt von allen zyklischen Krisen, der (Indie-)Musikbranche seine verdienstvollen Clubkonzerte immer am Puls der Zeit veranstaltet, ohne damit jemals mehr als semi-prominent oder gar reich geworden zu sein. Und da ist DAG, einer der wenigen echten Ossis unter den Impresarios der neuen Mitte, der sich als Maler selbst mittlerweile in abstrakte Höhen geschraubt hat, in vielen Museums-, Unternehmens- und Privatsammlungen vertreten ist und prominente Ausstellungsorte bespielt (zuletzt in den Deutschen Werkstätten in Hellerau), der aber mit seiner GLUE-Reihe seit 20 Jahren den ursprünglichen Kitt weiterrührt, geschmeidig hält und verdelt. In über 150 Gruppenausstellungen an wechselnden Orten haben über 400 KünstlerInnen mittlerweile von diesem Durchlauferhitzer profitiert. Seit 2020 hat GLUE in den ehemaligen Bierfässer-Katakomben der alten Königstadtbrauerei einen festen Ort gefunden – und mit der Restauratorin Claartje van Haaften eine kongeniale Co-Organisatorin. Neben Sichtbarkeit und mitunter auch Verkäufen haben die meist Berlin-basierten TeilnehmerInnen aus aller Welt vor allem eins mitgenommen: die Kraft, die im Netzwerk steckt. Das Netzwerk starker und schwacher Verbindungen, die GLUE gestiftet hat, reist durch Raum und Zeit und spannt sich inzwischen um den ganzen Globus, auch wenn es nur aus fluider, flüchtiger und unsichtbarer Materie entsteht.
Wie heißt es so schön: The best things in life are not things. Danke dafür, DAG!
Glue
von Ulrike Pennewitz
Schon 2004 hat das GLUE, organisiert von dem Galeristen Asim Chughtai und dem Künstler DAG, zu seiner ersten Gruppenausstellung in die Prenzlauer Allee 34 eingeladen. Von Anfang an war der Name Programm: Künstler kommen zusammen – sie stellen aus, diskutieren, feiern. Es ging uns nie um kommerzielle Interessen, sondern immer um die Kunst und die Künstler selbst. Um Beliebigkeit mit Massenausstellungen zu vermeiden (die damals üblich waren, um das Bier-Salär zu steigern), luden wir nur zu kleineren Gruppen-, Doppel- oder Einzelausstellungen programmatisch zu einem Thema ein. Das GLUE wurde damals sogar zum 2. und 3. Berliner Kunstsalon (2005/2006) und zur DC Kunstmesse in Düsseldorf 2007 eingeladen.
Das Projekt pausierte ein paar Jahre aus persönlichen Gründen. Seit 2009 organisiert DAG das GLUE entweder allein oder gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen und verfolgt das Konzept weiter, neue noch eher unbekannte Künstler und Künstlerinnen mit bekannteren zusammen zu bringen. Mittlerweile ist eine lange Künstler-Liste entstanden. Seit den letzten Jahren liegt der Fokus auf ungegenständlich, abstrakt bzw. konkret arbeitenden Künstlerinnen/Künstlern, denn DAG will einen Bereich präsentieren, der es im Museums- und Galerienumfeld schon immer schwer hatte, bis auf ein paar wenige Stars und Ausnahmen. Es finden im GLUE damit auch Projekte statt, die im öffentlichen oder kommerziellen Ausstellungsbetrieb so nicht möglich sind, weil hier unabhängig, vor allem vom Geschmack eines an Investitionen interessierten Kunstmarktpublikums, agiert wird.
Das GLUE nutzt für Ausstellungen und Eröffnungsfeierlichkeiten wechselnde Räume. Einen festen, dauerhaften Ort und eine kontinuierlichere Ausstellungsabfolge hat das GLUE immer nur vorrübergehend etablieren können. Das ist vor kurzem in der baustellenreichen Hauptstadt noch problemlos möglich gewesen und sorgte für „Frische“. Momentan wird das zwar schwieriger – das GLUE kann sich hier jedoch auf sein Netzwerk verlassen, denn trotz der allseits bekannten Raum-Probleme eröffnen sich immer Möglichkeiten.
Also bleibt wach und kommt vorbei.